5. Juni 2025 | Nele Otto | | Nachhaltiges Bauen | Ökologisches Bauen

Ein nahezu perfekter Kreislauf

Wie Abfall der Kalksandsteinindustrie hilft, Ressourcen einzusparen

Im Rahmen ihrer Abschlussarbeit an der Deutschen Journalisten-Akademie gibt Nele Otto, Architektin und Prokuristin der enco Energie- und Verfahrens-Consult GmbH, aufschlussreiche Einblicke in die Kreislaufwirtschaft innerhalb der Kalksandsteinindustrie.

Der silberne Pritschenwagen fährt über Wirtschaftswege an aufgeschütteten Wällen aus Mutterboden vorbei. Einige dieser Hügel sind bereits wieder bepflanzt. Das Fahrzeug fährt auf dem Rundweg um die Sandkuhle an Wäldern vorbei, die seit mehreren Jahren wieder wachsen dürfen und mittlerweile eine Wildschweinrotte beheimaten. Zwischen den Bäumen ergibt sich immer wieder der Blick auf Seen und Sandgrubenwände mit sichtbaren geologischen Schichten. Es ist ein fast 4 km langer Weg, der um das Gelände des Kalksandsteinwerks in Wendeburg führt. Hier werden seit 1963 die Produkte der Firma Radmacher hergestellt.

1963 ist auch das Geburtsjahr von Achim Michel. Er kümmert sich im Werk um die Qualitätskontrolle und untersucht die im Werk gefertigten Kalksandsteine im Labor unter anderem auf Rohdichte und Druckfestigkeit. Er ist derjenige, der das Mischverhältnis aus Kalk, Sand und Wasser festlegt, um es dann in den Produktionsprozess zu geben. Er gibt also vor, wie viel Material aus den einzelnen Haufen verschiedenster Sandarten, die sich auf dem Gelände befinden, eingesetzt wird. Somit ist er auch dafür verantwortlich, dass die Kalksandsteine ressourceneffizienter hergestellt werden. Denn einige dieser aufgeschütteten Haufen, die unscheinbar neben der Sandgrube gelagert werden, haben eine besondere Eigenschaft. „Das, was hier liegt, ist bares Geld.“ sagt Labortechniker Michel. Es ist werkseigenes Recyclingmaterial, das als Ausschuss bei der Produktion der Kalksandsteine entsteht und eben dort auch wieder eingesetzt werden kann. In Sandkorngröße zerkleinert spart es andere, teure und emissionsintensive Rohstoffe ein.

Recyclingmaterial als Game-Changer

Während des Produktionsprozesses im Kalksandsteinwerk fallen immer wieder aus Qualitätsgründen aussortierte Steine an. Diese Ausschüsse werden gesammelt und in gewissen Zeitabständen auf Sandkorngröße zerkleinert. Die dabei entstehenden kegelförmigen Halden sind für den Produktionsprozess von entscheidender Bedeutung. Je mehr Recyclingmaterial eingesetzt werden kann, desto weniger Kalk muss zugekauft werden und desto mehr CO2 wird in der Prozesskette eingespart. Das sind viele Vorteile - für die Wirtschaftlichkeit, für den Vertrieb und nicht zuletzt auch für die Umwelt

Im Laufe der Produktion im Kalksandsteinwerk werden regelmäßig Steine aufgrund von Qualitätsmängeln aussortiert. Diese Ausschussmaterialien werden gesammelt und in regelmäßigen Abständen auf Sandkorngröße zerkleinert.

Der Produktionsprozess im Wendeburger Kalksandsteinwerk ist seit über sechs Jahrzehnten etabliert. Sand und Lehm werden in den eigenen Gruben abgebaut und vor Ort gelagert. Seit ungefähr vier Jahren liegen hier auch die zerkleinerten Produktionsausschüsse als Recycling-Material. Radladerfahrer stellen sich aus den einzelnen Sandmieten Mischungen zusammen und bringen diese dann über Förderbänder in Silos. Das Gemenge wird mit zugeliefertem Kalk und Wasser vervollständigt und in Pressen gegeben, die daraus unter hohem Druck Rohlinge formen. Die jeweilige Nachfrage bestimmt, welche Pressformen in die Produktionslinien eingebaut werden – von kleinen Formaten bis zu großflächigen Planelementen kann alles produziert werden. Schon vor dem Aushärten wird computergestützt überprüft, ob die gepressten Rohlinge den werkseigenen Qualitätskriterien entsprechen. Falls nicht, kommen sie als Sandgemisch zurück in den Ausgangsprozess.

Als nächstes werden die Rohlinge mit 200 Grad Celcius heißem Wasserdampf und einem Druck von 16 bar sechs bis 12 Stunden in Autoklaven gehärtet. Im „Schnellkochtopf in Übergröße“, wie Achim Michel sie nennt, wird die Temperatur dabei über verschiedene Stufen angehoben und zum Ende des Aushärteprozesses wieder abgesenkt. Während dieser Zeit reagieren die Ausgangsstoffe zu Calciumsilikathydraten und erlangen so ihre Festigkeit. Die gehärteten Steine aus den Autoklaven werden noch warm verpackt oder zur Abholung direkt auf dem Hof gelagert. Die Paletten warten jetzt auf einen Lkw, der sie „just in time“ auf eine im Schnitt nur 50 km weit entfernte Baustelle bringt. Das über das gesamte Bundesgebiet verzweigte Netz der 70 Kalksandsteinwerke führt dazu, dass keine unnötigen Transportemissionen entstehen.

Die Härtung der KS-Rohlinge erfolgt in Autoklaven, wo sie sechs bis zwölf Stunden lang heißem Wasserdampf bei etwa 200 °C und einem Druck von 16 bar ausgesetzt werden.

Entsprechen die Endprodukte nicht den strengen Qualitätsanforderungen des Werks, werden sie aussortiert. Diese Ausschusssteine werden neben der Sandgrube gesammelt, zerkleinert und dem Produktionsprozess als Recyclingmaterial erneut zugeführt.

Die Geschäftsführer haben sich zusätzlich mehrere Hektar neues Abbaugebiet gesichert und investieren damit in eine nachhaltige Zukunft.

Kantige Körnungen für glatte Flächen

Achim Michel schaut sich die Steine, die aus dem Autoklaven kommen, ganz genau an. Er befühlt die noch lauwarmen Steine, reibt über die Kanten und sucht nach Fehlern wie Rissen oder Kiesnestern. Im Labor werden anschließend Maschinen und Mikroskope eingesetzt, um die Qualität der Kalksandsteine genauestens zu prüfen. Sollte sich herausstellen, dass die Endprodukte nicht den strengen Vorgaben des Werks entsprechen, werden sie aussortiert. Die ausschüssigen Steine werden dann auf den Haufen neben der Sandgrube gegeben, zerkleinert und als Recyclingmaterial wieder in den Prozess gegeben. Der Kreis schließt sich.

Wenn man Achim Michel sprechen hört, könnte man meinen, dass mehr Recyclingmaterial verwendet werden sollte. „Es macht unsere Steine erst richtig schön.“ Das liegt unter anderem an der kantigen Form des Gemischs, die man sehr gut unter dem Mikroskop erkennen kann. Diese raue Oberfläche sorgt für einen besonders starken Materialverbund und somit für eine glatte Oberfläche des Rohlings und scharfe Kanten im fertig ausgehärteten Stein. Eigenschaften wie Druckfestigkeit und Rohdichte sind nicht von den Werten anderer Steine zu unterscheiden. Zur Herstellung eines klimaneutralen Baustoffs ist das eingesetzte Recyclingmaterial aber nicht die alleinige Lösung. Es ist nicht dauerhaft in gleichen Mengen verfügbar, da die Menge des Ausschusses volatil ist. Auch der Einsatzbereich ist begrenzt. „Der Branntkalk im Endprodukt kann zwar kompensiert, aber nicht komplett ersetzt werden“ weiß Michel zu berichten. Und der ist es, der die CO2-Emissionen des Steins in die Höhe treibt.

Kreislaufwirtschaft außerhalb der Werksgrenzen

Die Einfahrt eines Silotransporters unterbricht Michels Arbeit im Labor. Der Inhalt des Tanks ist für den Qualitätsprüfer nicht gerade Grund zur Freude. „Kalk zu kaufen ist teuer“ weiß er zu berichten. Zum Glück kann ein Teil des Branntkalks durch werkseigenes Recyclingmaterial ersetzt werden. Aufgrund der begrenzten Ausschüsse ist diese Menge allerdings endlich. Überlegungen, Recyclingmaterial von außerhalb der Werksgrenzen anzuwerben, z.B. von Rückbau-Projekten, ist schwierig. Sowohl die Baukrise als auch behördliche Vorgaben und weite Entfernungen machen das Ganze aufwändig und unwirtschaftlich. Dieser Sekundärrohstoff-Weg ist in Wendeburg daher nicht erschlossen.

Im Kalksandsteinwerk der Firma Cirkel in Haltern am See ist dies schon heute Realität. Hier werden sortenrein getrennte und zerkleinerte Steine von einem Rückbauprojekt der TU Dortmund verarbeitet und zu einem gewissen Prozentsatz, der innerhalb eines Pilotprojekts maximiert werden soll, dem Prozess beigemischt. Die Vorgaben für die zurückgeführten Steine sind vielfältig. „Das Anhaften von Gipsputz am Stein oder das Zerkleinern der Steine zusammen mit anderen mineralischen Baustoffen wie z.B. Ziegel ist ein No Go“ erläutert Anke Warnck, Produktentwicklerin beim Hersteller aus dem Ruhrgebiet. Alle diese Fremdstoffe würden im Prozess zu unvorhergesehenen chemischen Prozessen führen, die die bauphysikalischen Eigenschaften des Kalksandsteins negativ beeinflussen können.

Derzeit werden Kalksandsteine im Rückbau noch mit anderen mineralischen Abfällen zusammen gesammelt, zerkleinert und beispielsweise für den Unterbau von Straßen oder als Füllstoffe auf Deponien genutzt. Der Einsatz von Kalksandsteinen als Sekundärrohstoff für die Produktion neuer Steine hat jedoch einiges Umdenken beim Rückbau zur Folge, berichten die Beteiligten der Firma Cirkel. „Wenn ein Rückbau-Projekt identifiziert wurde, müssen der Bauherr und der Planende erstmal feststellen, ob die verbauten Baustoffe für den Sekundärrohstoff-Handel genutzt werden können.“ Dieser Markt ist bis jetzt nicht etabliert und muss sich in der Branche noch entwickeln. Die Herausforderung ist, Hersteller und Bauunternehmen wissen zu lassen, welche Bauwerke zurückgebaut werden und welche Materialien dabei anfallen. Bei der Ausschreibung und dem Rückbau muss auf Sortenreinheit geachtet und die zeitliche Abfolge genau eingehalten werden. Sinnvoll ist das Ganze nur, wenn es für alle Beteiligten gewinnbringend und unkompliziert ist. „Die Kommunikation untereinander ist entscheidend für das Gelingen solcher Projekte“ berichtet Anke Warnck.

Seit Sommer 2024 wird die Zentralbibliothek auf dem Campus der Technischen Universität Dortmund zurückgebaut. Ab Mitte 2025 soll mit der Errichtung der neuen Bibliothek begonnen werden, die den in die Jahre gekommenen Bestand ersetzt.

Kalksandstein ist zukunftsfähig

Auf die Frage, ob Kalksandstein auch in einer klimaneutralen Zukunft eingesetzt wird, antwortet Achim Michel in Wendeburg: „Auf jeden Fall! Die Wohnungsbaukrise ist nur mit langlebigen, natürlichen Baustoffen zu bewältigen - so welche, wie es sie bei uns gibt.“ In der Tat gilt Kalksandstein bauökologisch und bauphysikalisch als guter Baustoff, da er keine Schadstoffe und keine Chemie enthält und hohen Anforderungen an Schall-, Wärme- und Brandschutz gerecht wird. Zudem ist er auf den Kubikmeter gerechnet ein sehr kosteneffizientes Material, im Vergleich zu Holz oder Beton.

Um die Produkte zukünftig klimaneutral produzieren zu können, muss sowohl der extern bezogene Zuschlagstoff Kalk emissionsärmer hergestellt als auch der Kalkanteil im Produkt reduziert werden. Darüber hinaus muss die Produktion auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Kalksandstein hat den Vorteil, dass er über seine Lebensdauer, die vom Hersteller mit weit über 100 Jahren angegeben wird, einen Teil des freigesetzten CO2 wieder aufnehmen kann. Ungefähr 50 Kilogramm pro Tonne Stein werden in 50 Jahren rekarbonatisiert. Die Hoffnung der Hersteller ist also, das Produkt zukünftig sogar als „klimapositiv“ betiteln zu können.

Optimistischer Ausblick

Auch wenn Achim Michel seinen Ruhestand schon im Blick hat, wünscht er sich für das Kalksandsteinwerk in Wendeburg eine positive Zukunft. „Die Geschäftsführer haben sich noch mehrere Hektar weiteres Abbaugebiet gesichert und investieren hier in eine nachhaltige Zukunft.“ Für die regionale Wertschöpfung und eine funktionierende Kreislaufwirtschaft in der Baubranche ist das ein gutes Zeichen und vermittelt Sicherheit in einer von Krisen geplagten Zeit. Achim Michel ist optimistisch: „Das Geräusch der über den Hof sausenden Radlader ist gut. Es zeigt, dass etwas passiert.“

Nele Otto hat an der TU Braunschweig Architektur studiert und nach ihrem Diplom als Architektin für Industriebau erste Erfahrungen in der Planungspraxis gesammelt. Mittlerweile verfügt sie über 14 Jahre Berufserfahrung und ist Prokuristin und Leiterin der Bautechnik-Abteilung bei enco Energie- und Verfahrens-Consult GmbH, einem Generalplanungsbüro für Kraftwerke und Energieerzeugungsanlagen. Zusätzlich zur Führungsaufgabe hat sie vielfältige Erfahrungen in der Projektplanung und -abwicklung auf der Baustelle sammeln können. Diese Einsichten in die Bau- und Energiebranche haben zu einem großen Engagement für das nachhaltige Bauen geführt, das sie jetzt über die Zusatzausbildung als Journalistin auch textlich verarbeitet.

Autor
Nele Otto

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