15. Juni 2023 | Hannah Schmidt | Interview

„Heute kennt man von allem den Preis, von nichts den Wert.“ Oscar Wilde

Interview

Interview mit Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur

Die graue Energie ist eine feste Größe im Kontext der Strategien zur Bauwende. Jünger dagegen ist die „Goldene Energie“, eingeführt durch die Bundesstiftung Baukultur. Mit Vorstand Reiner Nagel sprachen wir über die Gedanken zu diesem Faktor, ihre Messbarkeit und in welchem Zusammenhang sie zur Idee des wertvollen Bauens steht, für das sich KS-Original und Saint-Gobain Weber mit der Initiative „Wertvolle Wand“ einsetzen.

Können Sie erklären, was hinter der „Goldenen Energie“ steckt?

Die graue Energie beschreibt die Emissionen, die in einem Gebäude gebunden sind. Nun ist Grau nicht unbedingt als Lieblingsfarbe bekannt und wird beim Bauen oft mit Zement, Beton oder Staub assoziiert. Die Farbe Gold dagegen hat im wahrsten Sinne einen gewissen Glanz. Um zu vermitteln, dass ein Bauwerk auch einen ideellen, immateriellen Wert besitzt, erschien sie uns deshalb passend. Wir meinen damit die Lebenserfahrungen, die mit oder in dem Gebäude gemacht wurden. 

Reiner Nagel Portrait

Reiner Nagel ist Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur.

Ebenso geht es um die Gedanken, die in Entwurf und Planung stecken, und um die Menschen, die den Bau errichtet haben. Die Selbstgefälligkeit, mit der der Bestand abgerissen wurde und wird, müssen wir ablegen. Stattdessen gilt es, seine Werte, die erst auf den zweiten oder dritten Blick ersichtlich werden, zu schätzen, herauszuarbeiten und weiterbauen zu lernen.

Lässt sich denn messen, welchen ideellen Wert ein Gebäude besitzt? Gibt es Kriterien oder hängt das von der subjektiven Wahrnehmung ab?

Sowohl als auch. Wir behaupten, dass die goldene Energie messbar ist. Es gibt Planwerte, die die Qualität der Architektur für das Umfeld betrachten. Oder die Umwegrentabilität: Hamburg hat die Elbphilharmonie nicht umsonst gebaut. Sie ist ein Tourismusmagnet und trägt zum gesamten Stadttourismus bei. Das geht weiter bis zur Stadtrendite. Das Berliner Wohnungsbauunternehmen degewo weist z.B. hochwertigere Materialien und mieterfreundliche Außenanlagen in ihren Bilanzen mit bis zu 5 % Wertzuwachs aus, da sie durch die höhere Qualität weniger Instandhaltungskosten haben. Umgekehrt sind diese Kriterien natürlich durch die subjektive Wahrnehmung jedes einzelnen Menschen unterschiedlich zu bewerten.

Welche Rolle spielt die goldene Energie im Neubau?

Das, was jetzt neugebaut wird, muss die Frage beantworten, wie zukünftig weitergebaut, repariert und rückgebaut werden kann. Wenn man es dann noch schafft, die Identität, die Nutzungsflexibilität, die in dem Gebäude stecken, mitzudenken, dann ist der Neubau für eine langfristige Nutzung gut aufgestellt.

Im Zusammenhang mit der langfristigen Nutzung fällt im Baukulturbericht auch die „Leistungsphase 10“. Was hat es damit auf sich?

Dazu möchte ich ein Beispiel aus der Landschaftsarchitektur nennen. Da gibt es die sogenannte Entwicklungsplanungspflege. Damit das Bild, das man in der Planungsphase vermittelt hat, irgendwann Realität wird, muss die Anlage 30 Jahre lang auf dieses Ziel hin gepflegt werden. Das kann auch ein Ansatz für Gebäude sein, z.B. in Form einer laufenden Instandhaltung während des Betriebs. Was sonst passiert, sieht man am besten an vielen unserer Bahnhöfe. Hier wurde im laufenden Betrieb meistens nicht nachjustiert. Heute stehen wir dadurch teilweise vor einem riesigen Sanierungsstau.

Gold vor Grau?

Gold und Grau. Wenn wir das Grau sichern und möglichst viel Identität und Charakter wahren, dann geben sich die Dinge gut die Hand.

Was bedeutet es für Sie, wertvoll zu bauen?

Es gibt diesen Satz von Oscar Wilde: „Heute kennt man von allem den Preis, von nichts den Wert.“ Den finde ich ziemlich treffend. Wertvoll betrifft einerseits die Goldene Energie. Wertvoll meint aber auch die Baustoffe und die Qualität ihrer handwerklichen Verarbeitung. Wir sprechen also von einer doppelten Nachhaltigkeit: Erstens im Sinne der CO2-Bilanz und zweitens im Sinne der Langlebigkeit, indem man das Material einfach nie mehr wegschmeißt. Und das ist ja im Grunde die größte Nachhaltigkeit.

 

Zur Wertvollen Wand

Aktuell liegt der Fokus stark auf schnellem und kostengünstigem Bauen. Gesellschaftlich und ökologisch verantwortlich zu bauen, gerät dabei ins Hintertreffen. Dass wir um einen Wandel nicht herumkommen, wissen alle Beteiligten. Doch hapert es oft an einer klaren Haltung und konsequentem Handeln.

Hinzu kommt, dass der Begriff „Nachhaltigkeit“ bisweilen mehr inflationäre Phrase als substanzielle Leitlinie ist. Viele Hersteller und Planende schreiben ihn sich auf die Fahnen, doch welche Kriterien sind eigentlich essenziell, um in der Praxis qualitativ hochwertig und zukunftsfähig zu bauen? Dieser Frage widmen sich KS-Original und Saint-Gobain Weber im Rahmen der Initiative „Wertvolle Wand“ und sensibilisieren anhand von Interviews, Diskussionsformaten und weiteren Veranstaltungen für das wertbeständige wie wertvolle Bauen.

Video: © Lars Behrendt

Autor
Hannah Schmidt

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