19. Juli 2023 | Jonas Milk | Beitrag

Next Generation zu „Broadacre City"

Beitrag

Broadacre City – so betitelte der amerikanische Architekt Frank Lloyd Wright seinen um 1932 entwickelten Entwurf für die Stadt der Zukunft. Sein urbanes Konzept war ein Gegenentwurf zu vermeintlich menschenfeindlichen Metropolen. Ein planerisches Statement und zugleich ein utopisches Gesellschaftsmodell. Denn Broadacre City war auch Wrights Vision davon, wie die Gemeinschaft organisiert werden könnte. Die Kernidee ist ebenso einfach wie radikal: Die moderne Stadt soll vollständig aufgelöst werden und jede Familie ein Grundstück von etwa einem Acre (circa 0,4 Hektar) erhalten. Broadacre City basiert auf einer suburbanen, dezentralen Landschaft, in der die Bewohner*innen autark und mobil leben.

Statement von Wulf Kramer zu „Broadacre City"

Die Idee der Stadt – und keineswegs nur der europäischen – ist eng verbunden mit dem Begriff der Dichte. Dichte lässt sich nur sehr begrenzt quantifizieren, aber recht einfach wahrnehmen: Sei es in Bezug auf ein bestimmtes Maß an Nutzungsdurchmischung, durch das Zusammenkommen von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund oder auch anhand eines gewissen Lärmpegels. Dichte steht für Vielfalt und Unterschiedlichkeit. Und Urbanität entsteht, frei nach Levebvre, wenn viele unterschiedliche Dinge gleichzeitig passieren. Insofern handelt es sich bei Broadacre City, die den Begriff immerhin im Namen trägt, zumindest um eine ganz andere Art von Stadt, als wir sie kennen. In vielerlei Hinsicht findet man bei der Vision von Frank Lloyd Wright sogar das genaue Gegenteil: Orte des Zusammenkommens sind auf punktuelle Zentren der Bildung, Verwaltung und des Konsums beschränkt. „Dritte Orte“ oder auch nur Bereiche, die gesellschaftliches Leben ermöglichen, sind so gut wie nicht existent. Dafür hält Broadacre City einige Aspekte bereit, die in unserer aktuellen Stadtplanung zweifellos zu kurz kommen: Dazu gehören zum Beispiel große entsiegelte Flächen und Bepflanzungen, die das städtische Klima regulieren und in der Lage sind, in Extremwettersituationen regulierend zu wirken.

Die Idee der „städtischen Selbstversorgung“ findet sich weniger im Trend des Urban Gardenings, das eher nachbarschaftlich-soziale Aspekte in den Mittelpunkt stellt und versucht, im städtischen Kontext neue (Frei-)Räume für die Bewohner*innen zu erschließen.

next generation
Portrait Wulf Kramer

Architekt Wulf Kramer ist Mitbegründer des Yalla Yalla! - studio for change.

Sehr wohl kann man aber an die Ursprungsidee der Schrebergärten denken, die mindestens so sehr darauf beruhte, den Fabrikarbeitern und ihren Familien Entspannung und eine gesunde Umgebung zu bieten, wie sie ein gewisses Maß an Selbstversorgung und Nahrungsmittelsicherheit gewährleisten sollten. Der große Unterschied lag und liegt aber darin, dass es keinen „Zwang zum Schrebern“ gibt. Doch was würde aus den Menschen werden, die keine Lust auf Landwirtschaft oder nicht die entsprechenden Fähigkeiten haben, wenn wir Städte gemäß Frank Lloyd Wrights agrar-urbaner Vision organisieren würden? Vielleicht ist die Idee eher pseudo-demokratisch und auch nur eingeschränkt egalitär. Natürlich ist die Vorstellung spannend, dass alle mit dem gleichen Raum auskommen dürfen und müssen.

Kurzportrait Wulf Kramer

Wulf Kramer studierte Architektur in Stuttgart und Delft sowie Soziale Innovation an der Universität Krems (Österreich). In seiner Arbeit spiegelt sich seine Begeisterung für Zwischennutzungen, die Produktion zukunftsfähiger Orte und neue Formen der Stadtentwicklung wider. 2014 gründete er gemeinsam mit Robin Lang Yalla Yalla! - studio for change und arbeitet dort mit Zwischennutzungs- und Pop-Up-Projekten an der Schnittstelle zwischen Architektur, Stadtentwicklung und sozialer Innovation.

Aber das ist eben auch nur ein Aspekt von vielen: Die gleiche Fläche zu besitzen, bedeutet noch nicht, die gleichen Möglichkeiten oder etwa soziales Kapital zu haben. Für eine gerechtere Gesellschaft müssten wir meines Erachtens genau den umgekehrten Weg Wrights gehen. Kommunen sollten aktiv in die Flächenbevorratung einsteigen und eine soziale Bodenordnung beschließen. Vorbilder könnten das Ulmer Modell sein, das immerhin bereits seit über 100 Jahren dafür sorgt, dass dort quasi keine Spekulation um Bauflächen stattfindet. Und Städte wie Basel zeigen, dass das Erbbaurecht ein äußerst wertvolles Werkzeug sein kann. In diesem Sinne: Ja zu mehr Durchgrünung und Naturräumen in der Stadt. Ja zu Natur im urbanen Raum und Urban Farming im Sinne der produktiven Stadt. Ja aber auch zu Gemeinschaft und dem Zusammenkommen unterschiedlicher Gesellschaftsgruppen, zu frei zugänglichen Außen- und vor allem auch Innenräumen für jedermann. Und ja zu mehr Verantwortung von Kommunen wie Bauträgern, diese Orte auch zu ermöglichen.

Für eine gerechtere Gesellschaft müssten wir meines Erachtens genau den umgekehrten Weg Wrights gehen.

Autor
Jonas Milk

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